In den letzten Jahren hat die IFPI (International Federation of the Phonographic Industry) mehrfach auf die wachsende Bedeutung des Independent Musikmarkts hingewiesen. Zu diesem Markt gehören Labels, Kleinunternehmen und selbstständige Musiker, die ihre Musik unabhängig von den großen Plattenfirmen produzieren und vermarkten. Das bestätigt auch Musikwirtschaftsexperte Mark Mulligan: Nach seinen Angaben sind 2019 ihre weltweiten Umsätze um fast ein Drittel gestiegen, ihr Marktanteil erhöhte sich auf 32 Prozent. Hintergrund dafür sind ganz sicher auch die vielen neuen digitalen Möglichkeiten im Musikmarketing.
DIY oder Plattenvertrag?
Diese Entwicklung finde ich generell sehr gut. Mithilfe der vielen digitalen Tools rund um Website, Social Media und Playlisten haben Musiker und Bands schließlich heutzutage viel bessere Chancen, ihre Karriere selbst in die Hand zu nehmen. Andererseits kenne ich trotzdem kaum eine Indie-Band, die sich nicht über einen Vertrag mit einem Major-Label freuen würde. Warum? Ganz einfach: Weil die Mehrheit der unabhängigen Musiker Unterstützung bei Marketing, Booking, Verwaltung und Management braucht, um langfristig als Musiker erfolgreich zu sein.
Denn vielen Musikern fehlt dafür das entsprechende Wissen oder die Zeit, sich dieses wichtige Know-how anzueignen. Und natürlich macht es den Bands in der Regel mehr Spaß, Musik zu machen als sie zu vermarkten. Deshalb stoßen Karrieren als Do-It-Yourself-(DIY)-Künstler aufgrund des Zeitmanagements und/oder der finanziellen Situation der Musiker meistens sehr schnell an ihre Grenzen.
Dienstleister fürs Musikmarketing
Viele Musiker, die nicht mit einem Major-Label zusammenarbeiten, nehmen aus diesem Grund die Angebote unabhängiger Dienstleister der Musikbranche in Anspruch. Zu diesen gehören neben Plattenlabels, Musikverlagen, Managementfirmen, Booking-Agenturen und Tonstudios auch digitale Akteure wie Streaminganbieter, Musikaggregatoren, Online-PR-Firmen, Website-Content-Management-Firmen, E-Mail-Marketing-Systeme und Freelance-Plattformen. Ob Musikproduktion und digitale Distribution, Tourplanung oder Werbung: Diese Unternehmen können Musikern, die diese Arbeit nicht selbst übernehmen können oder wollen, tatsächlich dabei helfen, die Wege in den Musikmarkt zu ebnen.
Weniger Investitionen in neue Künstler
Leider ist bis jetzt keiner dieser Marktteilnehmer dazu bereit, Ressourcen in neue Talente zu investieren. Denn das wird wegen des unsicheren Marketingumfelds meist als zu riskant angesehen. Deshalb wandelt sich die „analoge Musikwirtschaft“, die einen Künstler von Beginn an aufgebaut hat, hin zur „digitalen Musikindustrie“. Dabei wird heute nahezu vorausgesetzt, dass Musiker schon vor Vertragsabschluss eine gewisse „Marktreife“ vorweisen können, um damit ihre Bereitschaft für eine weitere kommerzielle Laufbahn unter Beweis zu stellen.
Dadurch stehen Musiker und Bands vor neuen Herausforderungen, die es vor 15 oder 20 Jahren noch nicht gab – hier einige Beispiele:
Musikvermarktung – neue Chancen und Herausforderungen
- Alle Bands müssen heutzutage in der Lage sein, Musik zu produzieren, die internationalen Standards genügt. Wenn ich an die 90er-Jahre zurückdenke, dann war die Musikproduktion in einem professionellen Tonstudio zu dieser Zeit denen vorbehalten, die einen Plattenvertrag bei einem Major-Label hatten. Denn für Independent-Musiker war ein solches Vorhaben nahezu unbezahlbar. Heute ermöglicht es der technologische Fortschritt, dass Musiker zuhause oder im Proberaum Songs produzieren und diese anschließend mit wenigen Mausklicks weltweit veröffentlichen.
- Doch damit ergibt sich für die Künstler ein weiteres Problem: Auf der einen Seite müssen sie qualitativ hochwertige Songs schreiben, auf der anderen Seite sollen sie bei der Entwicklung ihres Repertoires den Markt nicht aus den Augen verlieren. Dieser Spagat erscheint vielen Independent-Musikern als unmöglich. Das ist auch völlig logisch, da diese Rolle früher von einer weiteren Person übernommen wurde – dem A&R-Manager der Plattenlabels. Wie könnte die Lösung für dieses Problem aussehen? Ich empfehle dir, um eure Band herum ein Team aufzubauen, das diese Rolle widerspiegelt und bei den Songwriting- und Produktionsprozessen hilft.
- Außerdem ist es sehr wichtig, dass deine Band eine genreabhängige Marke aufbaut, die euer Image transportiert und sich zugleich von der Masse abhebt. Dabei spielt vor allen Dingen das Branding in den Social-Media-Kanälen eine wichtige Rolle. Denn der sogenannt Social Proof wird in Zahlen, Interaktionen und Streaming-Popularität gemessen und ist ein wichtiger Indikator für eure Marktreife. Auch eine Berichterstattung in den herkömmlichen Medien solltest du nicht unterschätzen. Denn diese erhöht die Chance, dass ihr von wichtigen Meinungsmachern in der Musikbranche, wie Musikkritikern, Booking-Agenten und Musikfestivals wahrgenommen werdet.
- Ganz unabhängig davon bleibt eine hervorragende Live-Performance, die idealerweise später digital geteilt werden kann, eines der mächtigsten Werbeinstrumente für dich und deine Band. Gerade in Zeiten der Corona-Beschränkungen kann diese Möglichkeit der virtuellen Interaktion zwischen Künstlern und Publikum nicht hoch genug bewertet werden.
- Eine digitale Identität, bestehend aus einer professionellen Künstler-Website, mehreren aktiv bespielten Social-Media-Kanälen und allen relevanten Musikvertriebsplattformen, bietet Plattenlabels und Fans gleichermaßen die Möglichkeit, direkt mit euch in Kontakt zu treten. Zudem ist euer Online-Auftritt ein wichtiger Anlaufpunkt für Musikredakteure, die Inhalte zur Veröffentlichung suchen. Abgesehen davon dient er auch als Vertriebskanal für eure Musik und eure Merchandise-Artikel.
Du kannst dir sicherlich denken, dass all diese Punkte eine beträchtliche Investition an Zeit, Geld und Know-how erfordern. Trotzdem müssen Independent-Musiker, die in Zukunft mit einem Major-Label zusammenarbeiten möchten, die oben genannten Anforderungen erfüllen, um sich für eine mögliche Zusammenarbeit zu qualifizieren.
Marktforschung für Indie-Bands und DIY-Künstler
Damit deine Band über den oben beschriebenen Social Proof an Marktreife gewinnen kann, spielt Marktforschung, ebenso wie in anderen Bereichen der Wirtschaft, eine wichtige Rolle. Doch was versteht man eigentlich unter Marktforschung?
Sehr vereinfacht könnte man sagen: Deine Band muss die Bedürfnisse und Wünsche eurer Fans und potenziellen Hörer kennen. Ihr braucht möglichst viele Informationen, um entsprechende Marketingchancen zu identifizieren und später eine Marketingstrategie festzulegen. Wenn ihr hier gewissenhaft arbeitet, dann wirkt sich das auf jeden Fall positiv auf eure Umsätze als Band aus.
Ein absoluter Pionier in diesem Bereich ist Trent Reznor. Als kreativer Kopf der Band Nine Inch Nails bot er 2008 das Album Ghosts (I-IV) kostenlos zum Download an. Als Gegenleistung mussten die Hörer jedoch einen Fragebogen ausfüllen, der später zur Entwicklung einer umfangreichen Fan-Datenbank genutzt wurde. Denn sowohl damals wie auch heute gilt: Um als Musiker kommerziell erfolgreich zu sein, müsst ihr den Markt genau kennen, den ihr bedienen wollt – das gilt ganz besonders für eine so schnelllebige Branche wie die Musikindustrie.
Aus diesem Grund ist die Entwicklung eines soliden Marktforschungskonzepts und die Fähigkeit, diese Erkenntnisse bei der Musikproduktion, beim Künstler-Branding, bei der Promotion und dem Musikvertrieb gewinnbringend einzusetzen, die Grundlage um in der digitalen Musikindustrie zu bestehen.
Wie hoch sollte das Budget für das Musikmarketing sein?
In einem früheren Blogpost hatte ich dir mal erklärt, wie ihr euer Budget für die nächste Albumproduktion richtig aufteilt. Und obwohl das Jahr 2021 noch gar nicht so alt ist, habe ich es bereits erlebt, dass eine Band den Großteil ihres Budgets für die Musikproduktion ausgibt und hinterher kein Geld mehr für die Werbung übrig hat. Nach einer Auswertung der IFPI jedoch re-investieren Plattenfirmen durchschnittlich etwas mehr als ein Viertel der Brancheneinnahmen (26 Prozent) ins Marketing. Basierend auf meinen Erfahrungen würde ich sogar behaupten, dass über die Hälfte eures Budgets für das Marketing bestimmt sein sollte, wenn im Hintergrund kein Major-Label für euch arbeitet.
Marketing schon vor der kreativen Arbeit starten
Es ist richtig, dass in früheren Zeiten zuerst ein Album produziert wurde und anschließend das Thema Marketing auf der Agenda stand. Die Marketingstrategie wurde also vollständig von dem fertigen Produkt bestimmt. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass diese Vorgehensweise mittlerweile überholt ist, weil die digitale Musikindustrie heute neue Vermarktungsansätze erfordert und das Marketing bereits vor der eigentlichen kreativen Arbeit beginnt.
Eine vielversprechende Lösung sehe ich zum Beispiel darin, die Fans an der Entstehung neuer Songs teilhaben zu lassen. Das könnte in Zukunft zum Beispiel so aussehen, dass Künstler aus verschiedenen Schlagworten, die von Fans in der Cloud (oder wo auch immer) gesammelt werden, Songtexte für das kommende Album schreiben.
Fanbase aufbauen und bei Laune halten
Unabhängig davon sehe ich in Zukunft für Musiker ein großes Potenzial darin, bereits während des Produktionsprozesses Aufmerksamkeit und Nachfrage für die eigene Musik zu erzeugen. Doch das ist in der Praxis gar nicht so einfach umzusetzen. Da spreche ich aus Erfahrung: 2014 hatte ich genau das auch mal probiert und bin mit dem Ansatz grandios gescheitert. Warum? Weil sich niemand für meine Arbeit interessiert hat. Wie auch? Schließlich hatte ich als Solokünstler bis dahin noch nie Musik veröffentlicht. Was kannst du also aus meinem Fehler lernen?
Es ist sinnvoll, zuerst Musik zu veröffentlichen, sich dann eine Fanbase aufzubauen und schließlich für das zweite oder dritte Album den oben beschriebenen Crowd-Ansatz zu wählen. Ansonsten ist die Gefahr ziemlich groß, dass ihr vorab ein tolles Konzept erarbeitet, für das sich hinterher jedoch niemand interessiert.
Digitales Musikmarketing: Beispiel für eine Strategie
Vor mehreren Jahren habe ich mit einer Musikerin zusammengearbeitet, die regelmäßig kurze Clips von ihren Songwriting-Sessions online gestellt hat. Dadurch waren ihre Fans schon auf die neue Musik gespannt, noch bevor diese überhaupt aufgenommen, geschweige denn veröffentlicht, wurde. Die Rahmenbedingungen stimmten also: Fans warten gespannt auf das neue Album einer Künstlerin.
Der nächste logische Schritt war dann, ein Tonstudio zu suchen, das nicht nur die entsprechende Qualität bei den Produktionsstandards liefern kann, sondern darüberhinaus auch ein guter Drehort für Videos ist. Spätestens jetzt merkst du, wie alles ineinander greift und dass eine gut geplante Produktionsphase auch Material für Musikvideos, Fotos für Werbung, Interviews hinter den Kulissen und die Entwicklung einer Story für den Song oder das Album hervorbringt, das für jegliche Content-Marketing-Strategie wichtig ist.
Plane Zeit und Kraft für das Musikmarketing ein
Abschließend möchte ich dich noch vor einem großen Fehler warnen: Betrachte den kreativen Prozess nie getrennt vom Marketing. Sonst besteht die Gefahr, dass du die handfesten, marktwirtschaftlichen Interessen vernachlässigst, obwohl du ja mit deiner Leidenschaft Musik Geld verdienen willst. Was ich damit meine? Es geht mir sicher nicht darum, dass deine Band beim Songwriting über das Marketing nachdenken soll. Ihr solltet aber auf keinen Fall den Bereich des Marketings ignorieren.
In der Vergangenheit habe ich oft beobachtet, dass es Musikern außerordentlich schwer fällt, die nötige Zeit und die Ressourcen für Branding- und Promotion-Aufgaben aufzubringen, weil es ihnen meist an Motivation, Fähigkeiten und Leidenschaft in diesem Bereich fehlt.
Deshalb sehe ich eine der wichtigsten Eigenschaften von Independent-Künstler darin, sich nicht ausschließlich auf künstlerische Prozesse zu konzentrieren – sondern die Aufmerksamkeit zu gleichen Teilen auch auf die Bereiche Musikmarketing, Branding und Promotion zu legen, insbesondere in den Social-Media-Kanälen.
Jetzt interessiert mich, welche Rolle Werbung für deine Band spielt und wie du eure Musik in der Vergangenheit beworben hast. Lass es mich in den Kommentaren wissen. Ich freue mich, von dir zu hören!