Mit 16 Jahren habe ich zum ersten Mal in einem Tonstudio gearbeitet. Rückblickend muss ich sagen, dass diese Erfahrung mit meiner Band sehr prägend war – leider nicht im positiven Sinn: Mein Snareteppich raschelte jedes Mal, wenn ich die Bassdrum spielte und während des zweiten Songs löste sich eine Schraube in einer meiner Toms, was den Drumsound völlig ruinierte. Egal wieviel Mühe ich mir auch gab, es war wie verhext und nichts schien so zu funktionieren wie ich mir das vorstellte. Ich hatte gedacht, es sei wesentlich einfacher im Studio aufzunehmen. Doch es stellte sich heraus, dass weder ich noch mein Equipment für dieses kostspielige Abenteuer ausreichend vorbereitet waren. Ich hatte meine Bandkollegen enttäuscht, den Studiobesitzer genervt und außerdem ärgerte ich mich darüber, dass ich die Situation von Anfang an falsch eingeschätzt hatte. Nach zehn Tagen hielt ich folgerichtig eine Aufnahme in den Händen, mit der ich unzufriedener nicht hätte sein können.
Die richtige Vorbereitung fürs Studio
Glücklicherweise hatte ich einige Jahre später die Chance, das Thema „Tonstudio“ für mich neu und positiv zu besetzen. Ich konnte mit mehreren bekannten Produzenten zusammenarbeiten und mich dabei als Schlagzeuger beweisen. Was mir damals half: In dieser Zeit entwickelte sich der Bereich des Home-Recording rasant und ich hatte plötzlich die Möglichkeit, mich auf Studioaufenthalte ganz anders vorzubereiten als noch sechs Jahre zuvor. So analysierte ich mit Testaufnahmen mein gesamtes Spiel bis ins kleinste Detail und konnte genau beurteilen, wie gut ich mein Instrument beherrsche.
Damals wie heute gilt zudem: Wenn du mit deinem eigenen Equipment ins Studio gehst, sorge dafür, dass alles einwandfrei funktioniert, nichts klappert oder quietscht. Jetzt ist der beste Moment, um neue Felle aufzuziehen, alle Schrauben festzuziehen und auch deine Beckenständer zu überprüfen.
Als Drummer vielseitig sein
Wenn du in einem Tonstudio arbeiten willst, solltest du möglichst viele verschiedene Musikstile kennen, dich diesen anpassen können sowie in der Lage sein, dem Produzenten eine breite Palette an Sounds und Klängen anzubieten. Ein dicker Pluspunkt ist es, wenn du gut vom Blatt spielen kannst (hier ist ein klassisches Musikstudium hilfreich) und du weißt, wie man Leadsheets schreibt. Schlagzeuger, die gut vom Blatt spielen können, lesen übrigens immer vorausschauend und werden so von schwierigen Passagen nur selten überrascht. Nach meiner Erfahrung wird die Fähigkeit, Noten und Charts lesen zu können, vor allem in den folgenden Musikstilen auf die Probe gestellt: Big-Band, Jazz, Fusion und ernste, symphonische Musik. Als Faustregel gilt: Je größer das Ensemble, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass du vom Blatt spielen musst.
Welche Arbeit erwartet dich im Tonstudio?
Wenn wir zurückblicken, dann waren die goldenen Jahre für Studiomusiker die 60er, 70er und 80er Jahre. Heute ist es faktisch unmöglich, seinen Lebensunterhalt nur mit Studioarbeit zu verdienen. Viele Schlagzeuger kombinieren die Arbeit im Studio daher mit Tourneen und Live-Konzerten. Dies hält zum einen das persönliche Einkommen stabil und bietet zum anderen mehr Möglichkeiten, um sich musikalisch auszudrücken. Denn Studioarbeit kann manchmal wenig abwechslungsreich sein. Prinzipiell gibt es vier verschiedene Formen von Aufnahme-Sessions:
- Musik
Ziel eines solchen Projekts ist es, dass der Künstler und/oder die Plattenfirma am Ende der Produktion ein fertiges Produkt in den Händen hält, das veröffentlicht werden kann. Um in diesem Umfeld erfolgreich zu sein, ist es unglaublich wichtig, sehr gut hören zu können. Denn schon nach kurzer Zeit solltest du den vorgegebenen Song in einer Form intuitiv interpretieren können, die sowohl den Produzenten als auch den Künstler überzeugt.
- Jingles
Jingles bzw. Werbemusik wird mittlerweile überall auf der Welt produziert. Meistens vergeben dazu Werbeagenturen den Bereich „Musikproduktion“ an unabhängig arbeitende Produzenten. Musiker werden für diese Art von Arbeit entweder direkt vom Produzenten oder dem Komponisten engagiert. Es schadet also nicht, auch in diesem Bereich ein gut gepflegtes Netzwerk innerhalb der Musikindustrie zu haben. Da hier einmal mehr Zeit Geld ist (und die meisten Jingles ja eigentlich schon gestern fertig sein sollten), setzen die Produzenten ein sehr hohes Arbeitstempo mit einer minimalen Fehlerquote voraus. Brauchst du zu lange, dann kostet das den Produzenten unnötig Geld und es ist klar, dass du mit ihm wohl zum letzten Mal zusammengearbeitet hast. Ich empfehle dir, intensiv darüber nachzudenken, ob du für dieses Business gemacht bist. Denn der Druck ist in dem Bereich der Musikindustrie enorm. Ich empfinde dieses Geschäft als eines der härtesten und herausforderndsten das es gibt.
- Film- und Fernsehen
Die meiste Arbeit für Film- und Serienmusik gibt es nach wie vor in Los Angeles. Da ich in diesem Bereich noch nie gearbeitet habe, kann ich dir nur meine Eindrücke schildern: Fakt ist, dass es hier sehr viel Geld zu verdienen gibt. Deshalb sind solche Jobs unter Session-Musikern sehr gefragt. Schlagzeuger, die in diesem Bereich arbeiten, gehören normalerweise zur weltweiten Top-Elite. Namen die hier genannt werden müssen, sind z. B. John „JR“ Robinson, Jim Keltner oder Vinnie Colaiuta. Das lässt zwei Schlüsse zu: 1. Diese Form der Arbeit stellt extrem hohe Anforderungen an die Fähigkeiten eines jeden Musikers, die nur wenige Schlagzeuger erfüllen können. 2. In diesem Bereich werden offene Stellen für Schlagzeuger nur an einen kleinen ausgewählten Kreis von Musikern weitergegeben. Gehörst du dazu, dann kannst du dich glücklich schätzen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass der Druck hier noch größer ist als im Bereich der Werbemusik und Jingles. Denn fast immer wird zusammen mit einem großen Orchester aufgenommen, was keinen Raum für Fehler lässt.
- Demos
Um dir den Einstieg in die Welt der Session-Musiker zu erleichtern, empfehle ich dir, an Produktionen für Demo-Songs teilzunehmen. Klar, das ist nicht glamourös. Jedoch kannst du hier viel lernen und in Kontakt mit Produzenten kommen, die dich später vielleicht anheuern. Außerdem triffst du bei solchen Aufnahme-Sessions verschiedene Musiker, von denen sich manche bereits einen Namen in der Musikszene gemacht haben. Es schadet daher also nie, mit Kollegen einen guten Kontakt zu pflegen und in Zukunft so oft zusammen zu arbeiten wie es nur geht. Denn das öffnet manchmal die Türen für Arbeit mit bereits etablierten Künstlern und Plattenfirmen.
12 Regeln für die Arbeit im Tonstudio
Egal in welchem der vier Bereiche du arbeitest – ich rate dir, folgende Regeln immer zu beachten:
- Begegne deinen Mitmusikern, Produzenten und Tontechnikern mit Respekt. Versuche, ihnen das Leben so leicht wie möglich zu machen.
- Stelle dein Ego hinten an und sei flexibel – egal was kommt.
- Bewerte oder kommentiere keine Entscheidung so lange du nicht gefragt wirst. Immerhin arbeitest du daran, die musikalischen Ideen von anderen umzusetzen.
- Spiele konsistent und niemals mit mehr oder weniger Energie als während der eigentlichen Aufnahme.
- Sei immer dazu in der Lage, genau das zu wiederholen, was du im Take davor gespielt hast – ohne rhythmische oder dynamische Variationen und mit dem gleichen Ton.
- Nimm nur Arbeit an, von der du überzeugt bist, dass du sie perfekt erledigen kannst.
- Sorge immer dafür, dass dein Equipment tip-top in Ordnung ist und nichts quietscht oder raschelt.
- Bringe verschiedene Drumsticks und Felle mit zu jedem Aufnahmetermin.
- Verändere niemals die Position der Mikrofone, wenn der Toningenieur sie einmal in Position gebracht hat.
- Handy ausschalten. Es ist simpel und wird doch viel zu oft vergessen. Nichts nervt mehr als dass die perfekte Aufnahme durch ein klingelndes Telefon zerstört wird.
- Nimm etwas zu essen und zu trinken mit. Meistens dauern Aufnahmen länger als geplant. Sorge für deine Verpflegung. Es ist nicht selbstverständlich, dass es jemand anderes tut.
- Konzentriere dich auf die Musik, ohne angespannt oder nervös zu sein. Genieße deine Arbeit. Es ist eine der schönsten die es gibt.
In Studios Erfahrungen sammeln
Behalte auch dies immer im Kopf: Früher sind Tonstudios ein eigener, exklusiver Bereich innerhalb der Musikindustrie gewesen. Dank der Digitalisierung braucht heute jedoch niemand mehr ein Tonstudio für zig Millionen Euro, um Musik zu produzieren. Überall auf der Welt gibt es mittlerweile „Bedroom-Producer“, die mit beschränkten Ressourcen professionell klingende Aufnahmen veröffentlichen. Das hat Vor- und Nachteile: Zwar haben alle, die im Musikbusiness durchstarten wollen, die Möglichkeit, Musik zu produzieren und zu veröffentlichen. Andererseits wird der ohnehin schon sehr unübersichtliche Markt weiter mit Musik überflutet, die früher wohl nie veröffentlicht worden wäre. Trotzdem bietet der technologische Fortschritt und das Entstehen vieler kleinerer Studios besonders jungen Musikern die Chance, in einem etwas ruhigeren Umfeld zu lernen und wertvolle Erfahrungen zu sammeln, um so ein erfahrener Sessionmusiker zu werden.
Auch die renommierten und zum Teil bereits seit Jahrzehnten im Geschäft tätigen Kollegen profitieren von diesen neuen Entwicklungen. Denn viel Arbeit hat sich von den großen Tonstudios in ihre privaten Aufnahmeräume verlagert, wo über das Internet komplette Projektdateien an Kunden weltweit verschickt werden. So kannst du mittlerweile mit Musikern auf der ganzen Welt zusammenarbeiten, wenn diese bereit sind, dich für deine Arbeit zu bezahlen. Besonders für Musiker, die sich für Studio- und Aufnahmetechnik interessieren, ist das eine tolle Option.
Tipps für die Zusammenarbeit mit Produzenten
Wenn du dir sicher bist, dass du mit verschiedenen Produzenten arbeiten möchtest, dann rate ich dir Folgendes:
- Finde über Google heraus, welche Musik gerade erfolgreich in den Charts vertreten ist.
- Bringe in Erfahrung, wer die Songs produziert hat. Stelle dir dann die folgenden Fragen:
- Wo lebt der Produzent?
- Welches sind die bevorzugten Studios, in denen er arbeitet?
- Bei welchen Plattenfirmen steht er unter Vertrag?
Versuche danach, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Sei dabei immer höflich und niemals aufdringlich. Beherrsche dein Handwerk, denn nichts ist schlimmer, als eine große Chance zu vertun, weil du nicht ausreichend vorbereitet bist. Auch wenn du es nicht glaubst: Die Musikindustrie ist immer noch ein Geschäft, in dem es ums „Händeschütteln“ geht und in dem persönliche Beziehungen Gold wert sind. Niemand heuert dich an, weil du ein cooles Demo oder tolle Videos bei YouTube hast. Warum? Es sagt nichts darüber aus, wie lange es gedauert hat, bis du den Song eingespielt hast, wie kreativ und vielseitig du bist oder ob man mit dir problemlos zusammenarbeiten kann.
Netzwerken im Musikbusiness
Also: Geh raus und baue dein Netzwerk auf! Spiele live! Gehe auf Jamsessions und Konzerte und finde heraus, wo die Musiker in deiner Region abhängen. Du musst neue Menschen kennen lernen und Freunde zum Musik machen finden, damit dich möglicherweise die richtigen Leute hören, die deiner Karriere als Schlagzeuger einen Schub geben können. Neben dem Handwerk ist es eben genauso wichtig, ein guter „Networker“ zu sein. Denn meist wirst du als noch unbekannter Musiker von jemandem empfohlen, dem Produzenten oder bereits etablierte Musiker vertrauen. Also denke immer daran: Wenn du an deinen Softskills nicht genauso arbeitest wie an deinen Fähigkeiten am Instrument, dann wirst du vielleicht dein Leben lang unentdeckt bleiben.
Jetzt interessieren mich deine Erfahrungen: In welchen Studios hast du schon gearbeitet? Möchtest du überhaupt ein Session-Drummer sein oder reizt es dich mehr, als Sideman auf Tour zu gehen? Was kannst du meinen Regeln für die Arbeit im Tonstudio hinzufügen? Ich freue mich von dir zu hören.
Interessant. Wie wird denn im Studio das drum aufgenommen. Spielst du als erstes uns hörst die anderen Musikmitglieder nicht und musst alles vom kopf auswendig spielen. Oder hat man da einen Anhaltspunkt? Z.B gitarre,bass oder gesang spielt mit.
Normalerweise gibt es eine temporäre, in der Regel provisorisch Aufnahme des Songs, die als Referenz für den Rest des Aufnahmeprozesses dient. Das ist wichtig, wenn du als Session-Musiker arbeitest. Im Band-Kontext habe ich die Drum-Parts aber immer so vorbereitet, dass ich diese zum Metronom einspielen kann und nicht auf eine (mehr oder weniger aufwändige) Vorproduktion angewiesen war.