„Mach lieber was Sicheres“ sagte mein Vater damals im Esszimmer, als ich davon träumte Schlagzeuger zu werden. „Verwaltungsfachangestellter, Arzt oder Lehrer. Damit findest du immer einen Job.“ Mit Nachdruck schaute er mich an. Ich war gerade in der 12. Klasse und stand kurz vor dem Abitur. Die Frage: „Wie geht es danach weiter?“ stellte sich drängender als je zuvor. Na gut, dachte ich – wenn ich schon nicht beruflich trommeln soll, dann will ich wenigstens „irgendwas mit Kultur“, „irgendwas mit Medien“ oder „irgendwas mit Musik“ machen. Schließlich wurden doch genau für diesen Zweck eine ganze Reihe neuer und sehr modern klingender Ausbildungsberufe ins Leben gerufen.
Berufe und Studium in Musik und Kultur
Ob Mediengestalterin Bild und Ton, Kaufmann für audiovisuelle Medien oder Sound-Designerin: Mit den neuen Technologien und Anforderungen in der Arbeitswelt entstanden viele neue Berufe und Ausbildungen. So hat die Digitalisierung auch vollkommen verändert, wie heute Musik produziert, vermarktet und verkauft wird. Folgerichtig gibt es inzwischen eine Weiterbildung zum Musikfachwirt, bei der das kaufmännische Wissen auf den neuesten Stand gebracht, aber auch aktuelle rechtliche Aspekte behandelt werden.
Andere, die eher organisatorisch talentiert sind, suchen ihr Glück vielleicht im Bereich Kulturmanagement. Entsprechende Ausbildungen kann man inzwischen im ganzen Land absolvieren: von Zittau bis Saarbrücken, von Bremen bis Nürnberg. Wie arbeiten Kulturinstitutionen? Wie plane ich Projekte und Events? Fragen dieser Art werden allerdings seit langem von wirtschaftlichen Themen überschattet. Betriebswirtschaft und Marketing sind daher wichtiger denn je – eine Kulturfinanzierung ohne Kenntnisse in Fundraising und Sponsoring ist heute kaum vorstellbar.
So schrieb auch Prof. Dr. Hermann Voesgen, lange Jahre Leiter des Studiengangs Kulturarbeit an der Fachhochschule Potsdam, der zur Tätigkeit von Kulturmanagern forscht, schon vor einigen Jahren:
„Die Etablierung von Kulturmanagement als Ausbildung und Berufsfeld ging einher mit einem umfassenden und bis heute nicht abgeschlossenen Prozess gesellschaftlicher Deregulierung, mit einer zunehmend wirtschaftsliberalen Ausrichtung.“
Kultur-Ausbildung oft ohne Standards
Dieser Aussage stimme ich voll und ganz zu. Nach Gesprächen mit Freunden, Kollegen und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Ausbildungen in diesem Berufsfeld öfter mangelhaft sind als in anderen Branchen. Das könnte daran liegen, dass es zu viele Bewerber gibt und zugleich die Ausbildungsstandards nicht oder nur unzureichend überprüft werden. Ich erinnere mich sehr gut daran, wie ich mal mit einer großen, deutschlandweit tätigen Vertretung selbstständiger Unternehmer telefonierte und im Verlauf des Gesprächs gefragt wurde, ob ich mir denn nicht vorstellen könnte, mein Tonstudio für Ausbildungszwecke zu öffnen. Auf meinen Einwand hin, dass ich keine Ausbilderprüfung abgeschlossen hätte und auch sonst keine Nachweise dieser Art vorlegen könnte, meinte die Gegenseite, das sei alles überhaupt kein Problem. Stattdessen wurde ich darauf aufmerksam gemacht, wie gesucht Ausbildungsplätze in diesem Bereich seien und dass ich als kleine Firma den regulären Ausbildungstarif sogar um 10-15 % unterschreiten dürfte.
Im ersten Augenblick war ich sprachlos, im zweiten habe ich dankend abgelehnt. Denn mein Anspruch lautet, alles was ich in Angriff nehme, wird jederzeit korrekt und professionell abgewickelt. Trotzdem dachte ich nach diesem Telefonat noch lange nach: Kann es sein, dass es nur darum geht, möglichst viele toll klingende Ausbildungsplätze zu schaffen – ohne die Qualität der auszubildenden Betriebe zu überprüfen? Frei nach dem Motto: Hauptsache, die jungen Leute haben irgendeinen Ausbildungsplatz gefunden.
Fehlende Praxis in der Ausbildung
Meine Erfahrung deckt sich hier leider mit den Erzählungen von vielen Kolleg*innen, die entweder einen der angesagten Kulturmanagement-Studiengänge belegt oder an einer der unzähligen privaten Hochschulen Ton- bzw. Medientechnik studiert haben. Oftmals sind diese Studiengänge sehr weit weg von der Praxis. So ist es kein Wunder, dass nur wenige Absolvent*innen in ein paar Sätzen erklären können, warum es die Künstlersozialkasse gibt und welche Aufgabe sie hat. Oder wo die Unterschiede zwischen GVL und GEMA liegen. Du kannst dir das in etwa so vorstellen, als wenn Mediziner keinen blassen Schimmer von Anatomie hätten.
Erschwerend kommt hinzu, dass hier eigentlich für die Arbeitslosigkeit ausgebildet wird. Denn es gibt nicht annähernd so viele Arbeitsstellen im Kulturbereich, wie es Absolvent*innen der Studien- und Ausbildungsgänge gibt – und jährlich werden es mehr. Wie ich bereits in einem früheren Blogpost geschrieben habe, kann das Leben als Profimusiker manchmal extrem hart und schwierig sein. Genauso ist es aber auch in vielen anderen Berufen der Kunst-, Kultur- und Kreativwirtschaft.
Kein Geld für Kultur?
So wie früher die meisten berühmten Maler und Musiker von adeligen Wohltätern abhängig waren, gibt es auch heute einen sehr kleinen Prozentsatz von Musikerinnen, die sehr erfolgreich sind. Aber muss für alle anderen tatsächlich das geflügelte Wort von der „brotlosen Kunst“ gelten? Musiker sollten also froh sein, zumindest einen wie auch immer großen Teil ihres Lebens ihrer Leidenschaft widmen können – auch wenn meist die geleistete Arbeit in keinem Verhältnis zum Verdienst steht? Mir fehlt an vielen Punkten einfach die Wertschätzung für Kunst und Kultur in der Gesellschaft. Oft heißt es, bei Musikern würde der kreative Wert eines Werks über finanziellem Erfolg und Gewinnabsichten stehen. Das mag sein. Aber wovon leben Musiker?
Von dem Verkauf ihrer Musik jedenfalls nicht, zumindest nicht mehr ausschließlich. Sir Mick Jagger sagte dazu in einem BBC-Interview: „Es gab eine kurze Periode, als die Musiker sehr anständig bezahlt wurden. Mit Platten ließ sich nur eine sehr, sehr kurze Zeit lang Geld machen, aber jetzt ist diese Periode vorbei.“ Und das ist völlig unabhängig davon, ob die Musik heute als Vinyl, CD oder Audio-Stream veröffentlicht wird.
Plattenverkäufe ohne Gewinn
Ein kleines Beispiel aus der Praxis: Vor vielen Jahren habe ich in einer relativ erfolgreichen Metal-Band gespielt. Natürlich fragten auch wir uns, wie wir schnellstmöglich erfolgreich sein können. Wir entschieden uns damals, einen Bandübernahmevertrag mit einem etablierten, süddeutschen Label abzuschließen. Der Deal hätte so ausgesehen, dass wir vom Netto-Händlerabgabepreis (HAP) ca. 20 % erhalten hätten. Der HAP lag seinerzeit bei 9,50 Euro bis 11,50 Euro, bei unserer Band wären also zwischen 1,90 Euro und 2,30 Euro pro verkaufter CD angekommen. Soweit so gut.
Diesen geringen Einnahmen standen jedoch Produktionskosten von mehreren tausend Euro gegenüber, für die wir als Band in Vorleistung gegangen sind! Hinzu kam, dass wir sämtliche CDs für den Eigenvertrieb zum HAP von unserem Label hätten erwerben müssen. Auch ohne ein Studium der Betriebswirtschaft war offensichtlich, dass das für uns so keinen Sinn ergibt.
Folgendes Rechenbeispiel dürfte dich daher kaum noch überraschen: Nach 1.000 verkauften CDs hätten wir als Band zwischen 1.900 und 2.300 Euro eingenommen. Nach heutigem Wissen würde ich sagen, dass mindestens 85 % aller Bands zu dieser Zeit diese Schwelle nicht überschritten haben – und heute daran gar nicht mehr zu denken ist. Die rund 2.000 Euro könnten wir jetzt wie folgt aufteilen: Gibt es einen Manager, dann bekommt dieser 15-20 %. Alles, was davon übrig bleibt, teilen sich die Bandmitglieder. Bei einer vierköpfigen Combo macht das ca. 450 bis 550 Euro pro Musiker.
Musiker mit geringem Einkommen
Kein Zweifel: Diese Zahlen sind ernüchternd, doch sie sind die Realität. Denn die Statistik der Künstlersozialkasse zeichnet ein ähnliches Bild – und zwar nicht nur in der Sparte Musik sondern auch in den Bereichen Bildende Kunst, Darstellende Kunst und Wort. Das von den Künstlern selbst gemeldete, durchschnittliche Jahreseinkommen der unter dreißigjährigen Musiker beträgt hier ca.13.000 Euro. Damit gehören viele Kunst- und Medienschaffende zur absoluten Unterschicht beim Einkommen – obwohl viele immer noch so tun, als würden sie zur Mittelschicht gehören, wie die Generation der Eltern.
Die durch die Coronakrise verursachten Umsatzausfälle sind zusätzlich dramatisch. So sagten laut einer Umfrage der britischen Vermittlungsplattform für Musiker*innen Encore zwei Drittel der Befragten (die 80-100 % ihres Einkommens mit der Musik verdienen), dass sie überlegten, ihren Künstlerjob aufzugeben – schließlich gab es für sie seit dem Frühjahr über 80 % weniger Live-Auftritte.
Kultur besser fördern
Ob sie Tourneen planen, auf Bühnen stehen oder Konzerte organisieren, bei Filmproduktionen, Radiosendern, Veranstaltungsfirmen oder Kulturämtern arbeiten: Genau wie Ärzte oder Lehrer folgen Musiker und andere Kulturschaffende ihrer Berufung – trotz der oft unsicheren finanziellen Aussichten. Das romantische Bild von Musikern, die ohne den geregelten Ablauf eines Büroarbeiters sich von ihrer Inspiration durch den Tag treiben lassen, entspricht kaum der Wirklichkeit. Stattdessen sind Organisationstalent, Flexibilität und Ausdauer gefragt, wenn es darum geht, dem Publikum Entspannung, Freude und Alltagsfluchten zu bieten. Gerade in Zeiten der Pandemie merken wohl alle, was uns ohne Kultur fehlt.
Daher ist es höchste Zeit, dass sich die Kultur-, Musik- und Medienschaffenden fragen, wie sie in Zukunft leben und arbeiten wollen. Denn es kann nicht sein, dass Absolvent*innen von einem unbezahlten Praktikum ins nächste stolpern oder jahrelang prekär beschäftigt sind. Jedes Praktikum und jede Ausbildung muss gesetzlichen Regeln entsprechen, korrekt bezahlt werden und der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass sich Künstler endlich in einer Art Interessenvertretung organisieren, um berechtigte Forderungen durchzusetzen: Denn niemand arbeitet gern umsonst oder für ein viel zu geringes Honorar, das oft nicht zum Leben reicht. Mindestgagen für Auftritte und öffentliche Engagements könnten in Zukunft ein Schritt in die richtige Richtung sein.
Jetzt bist du dran. Was denkst du: Warum möchten soviel junge Leute in der Musik- und Kulturbranche arbeiten? Wo liegt der Reiz und welchen Preis wärst du persönlich bereit, dafür zu bezahlen? Lasse es mich in den Kommentaren wissen.