Seit 2015 beobachte ich, wie das Interesse an Blockchain-Konzepten innerhalb der Musikindustrie stetig zunimmt. Denn Künstler, Labels und Streaming-Anbieter erhoffen sich davon in Zukunft bessere Verdienstmöglichkeiten. In diesem Artikel stelle ich die Grundprinzipien der Blockchain in der Musikbranche sowie erste Ansätze für Blockchain-und NFT-Anwendungen in der Kreativindustrie vor. Außerdem erfährst du von den aktuellen Herausforderungen, die sich aus den neuen Technologien für die Musikindustrie ergeben.
Blockchain & Musik: neue Geschäftsmodelle
Der PwC German Entertainment & Media Outlook 2018-2022 prognostiziert der deutschen Musikwirtschaft eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 1,8 Prozent, die mit Hilfe der Blockchain sogar noch übertroffen werden könnte. Deshalb gibt es kaum einen Bereich in der Musikbranche, der Blockchain oder Varianten davon, wie NFTs, nicht als Teil seiner aktuellen Projekte in Betracht zieht. Die Ideen hierzu sind vielfältig und betreffen eigentlich alle Bereiche der Musikwirtschaft:
- ID-Lösungen für Bandnamen (Music Business Worldwide)
- Vertrieb (Imogen Heap, royal.io)
- Streaming (Resonate3)
- Globale Lizenzierungsplattformen (DotBlockchain Media)
- Ticketing (Membran Entertainment)
So funktioniert die Blockchain
Im Grundsatz stellt die Blockchain einen Ansatz für Datenbanklösungen dar, bei dem die einzelnen Daten nicht über mehrere Tabellen verteilt sind, sondern als Kette von Blöcken in einem einzigen Hauptbuch gespeichert werden. Es handelt sich dabei um ein dezentrales System, bei dem in jedem Knoten des Peer-to-Peer-Netzes eine identische Kopie des Hauptbuchs verwaltet wird.
Theoretisch kann so jeder Block die Daten selbst (in unserem Fall die Musik), die Metadaten (Künstler, beteiligte Musikerinnen, Produzent usw.) sowie eine Reihe von Regeln (wer darf die Musik unter welchen Voraussetzungen lizenzieren), enthalten.
Chancen für neue Teilnehmer im Musikmarkt?
Eine große Zahl junger Unternehmen möchte die Blockchain-Technologie dazu verwenden, um mit neuen, digitalen Geschäftsmodellen unterschiedliche Dienstleistungsbereiche der Musikindustrie abzubilden. Alternative Möglichkeiten der Monetarisierung von Musik könnten zu Verschiebungen in der Wertschöpfungskette führen und so für etablierte Marktteilnehmer eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellen.
Das Start-up Ujo Music skizziert beispielsweise das Bild einer sozial verträglichen Musikindustrie, in der die Künstler vor der Veröffentlichung eines Songs die Verteilung der umgesetzten Einnahmen bestimmen. Das Geschäftsmodell des Startups ist in etwa vergleichbar mit dem iTunes-Store. Die Organisation der Metadaten ist jedoch weitaus transparenter und insgesamt umfassender gestaltet. So werden zu jedem Titel Informationen zu Songwritern, Produzenten und Instrumentalisten sowie Produktionszeit, Produktionsort und dem verwendeten Equipment gegeben. Auf Basis der Ethereum-Blockchain führen Smart-Contracts die vorher festgelegten Handlungsfolgen aus und verteilen so direkt nach dem Verkauf des Downloads die erzielten Einnahmen.
Die britische Sängerin, Komponistin, Produzentin und Grammy-Gewinnerin Imogen Heap agiert als Schirmherrin dieses Projekts und konnte in der Vergangenheit bereits ConsenSys und Ethereum als Unterstützer für das Projekt gewinnen. Die erste Veröffentlichung von Heap auf Ujo Music mit dem Songtitel „Tiny Human“ bewies im Jahr 2015, dass mit der Technologie in Zukunft ein vielversprechendes Geschäftsmodell etabliert werden kann. Im zweiten Versuch zwei Jahre später war DJ Rac mit seinem Album EGO nochmal erfolgreicher und konnte den zehnfachen Umsatz von Heap generieren.
Einfachere Lizenzierung von Musik
Der Erfolg solcher Plattformen ist darin zu sehen, dass sie ein großes Problem der Musikindustrie lösen: die schnelle, kostengünstige, transparente und einfache Lizenzierung von Musik. Da die Metadaten von Songs und Künstlern bis jetzt nur unzureichend und nicht einheitlich standardisiert sind, fehlt die Grundlage, um Einnahmen zu generieren. Die Ursache dieses Problems liegt darin, dass Verträge in der Musikindustrie keinen Branchenstandards unterliegen und deshalb stark voneinander abweichen. Obwohl die bereits existierenden Metadaten leicht an neue Technologien angepasst werden können, ändert das nichts an dem Grundproblem unvollständiger oder fehlerhafter Datensätze.
Da die verschiedenen Teilbereiche der Musikwirtschaft nur wenig transparent und ihre Arbeitsweisen oft nicht miteinander kompatibel sind, müssen zunächst die Datensammlung und die Datenabstimmung standardisiert werden. Dies gilt besonders dann, wenn die Daten in eine Blockchain implementiert werden sollen.
Blockchain-Anwendungen: Validität und Verifizierung von Daten
Doch wer gibt die Daten ein und wie lassen sich die dabei entstehenden Konflikte lösen? Nicht alles, was in einer Blockchain steht, ist wahr, sondern nur unveränderbar. Das heißt, die einmal eingegebenen Daten sind zwar vor Manipulation geschützt, doch müssen sie vor ihrer Eingabe verifiziert werden. Hier bieten sich neue Möglichkeiten für Verwertungsgesellschaften, welche die Daten vor ihrer Eingabe in die Blockchain überprüfen und gegebenenfalls anpassen können. So ließe sich garantieren, dass den entsprechenden Künstlerinnen und Musikern auch die richtigen Einnahmen zufließen.
Für Blockchain-Anwendungen gibt es zwei grundlegend unterschiedliche Konzepte:
1. Die Blockchain kann ein integraler Bestandteil eines Produkts sein, wie dies zum Beispiel bei verschiedenen Kryptowährungen der Fall ist.
2. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass die Blockchain als ein abstraktes Konzept die grundlegende Infrastruktur für unterschiedliche Branchen oder Produkte bildet.
NFTs in der Musik
Weil NFTs als digitale Tools mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten in immer mehr Wirtschaftsbereichen Einzug halten, könnten auch Musiker, Plattenfirmen und Verwertungsgesellschaften in Zukunft von den Non-Fungible-Token profitieren. Digitale Musikvermarktung würde so zum Beispiel verschiedene Elemente umfassen:
- virtuelles Merchandise, wie Band-T-Shirts für Web-3.0-Anwendungen
- personalisiertes, fälschungssicheres Ticketing mit der Möglichkeit, Höchstpreise für Eintrittskarten festzulegen, die Künstler finanziell beim Weiterverkauf zu beteiligen oder Ticketinhabern digitale Extras zu bieten
- streng limitierte Demo-Aufnahmen und Sondereditionen
- virtuelle Rundgänge durch das Zuhause der Künstler.
Ziel ist es, dass diese neuen Produkte Fans dazu anregen, in ihre Lieblingskünstler zu investieren. Auf lange Sicht ergeben sich daraus interessante Perspektiven für die Zusammenarbeit zwischen Musikern und Digitalkünstlern, da auditive Erlebnisse in direktem Zusammenhang zu starken visuellen Impulsen stehen werden.
Beispiele für Tokenisierung in der Musikbranche
Ein Beispiel für die Tokenisierung von Musik ist die Plattform royal.io. Dort können Fans Tokens und damit Anteile von zukünftigen Einkünften aus dem Streaming der Musik ihrer Lieblingskünstler erwerben. Mit diesem Revenue-Split setzen Musiker und Produzenten wie Diplo, Nas oder 3lau darauf, ihre Fans unabhängig von großen Plattenfirmen enger an sich zu binden und bieten ihnen dafür exklusive Tracks und andere Inhalte. Motto von royal.io: „For the first time, artists and fans are partners in the ownership of music. When artists win, everyone wins.“
Auch der kanadische Musikproduzent deadmau5 ist ein passionierter NFT-Verfechter. Ihn reizt vor allem die Unabhängigkeit als Künstler von herkömmlichen Verbreitungswegen und Verdienstmöglichkeiten. Die isländische Rockband Sigur Rós hat mit „Heimr“ sogar eine NFT-gestützte Community gestartet. Damit macht sie sich bei der direkten Kommunikation mit ihren Fans von den großen Social-Media-Plattformen unabhängig.
Intensiv mit diesem Thema beschäftigt haben sich auch Musiker aus Deutschland wie die DIY-Künstler von WHOISWELANSKI. Sie haben inzwischen eine eigene Galerie im Metaverse, in der nicht nur Musik läuft, sondern wo sie auch audiovisuelle NFTs und Merchandise verkaufen.
So verändert die Blockchain die Musikindustrie
Im Augenblick sehe ich drei Bereiche, in denen die Blockchain wichtige und notwendige Veränderungen in der Musikindustrie vorantreiben kann:
- Lizenzierung: Die Lizenzierung ist die Grundlage für die Monetarisierung von Musik. Denn sämtliche Einnahmen hängen vom Vorhandensein und der Qualität der Metadaten ab. Die Blockchain könnte durch einfachere Lizenzierungsprozesse, die korrekte Identifizierung von Urhebern und die Beschleunigung von Transaktionen einen erheblichen Anstieg der Umsätze ermöglichen, sofern die oben angesprochenen Herausforderungen mit den Metadaten gelöst werden. In einem Markt, der momentan von Käufen mit geringem Wert und winzigen Tantiemen-Zahlungen (Stichwort: Musik-Streaming) beherrscht wird, führen geringere Transaktionskosten zu höheren Gewinnspannen. Ein gutes Beispiel sind dafür die Streaming-Dienste, denen die Kunden eine monatliche Gebühr überweisen und damit Zugriff auf Millionen von Musiktiteln erhalten. Die Blockchain eröffnet hier ganz neue Möglichkeiten für eine vollautomatische und schnelle Verteilung der Tantiemen. Ein äußerst interessantes Szenario wäre zum Beispiel, dass Kunden beim Musik-Streaming in Zukunft nur noch für die Musiktitel bezahlen, die sie tatsächlich hören – und damit Plattformen wie Spotify oder Apple Music ihr Geschäftsmodell grundsätzlich überdenken müssten. Künstler erhielten so nämlich die Möglichkeit höhere Umsätze zu erzielen, da sie einerseits mehr Geld pro Stream verlangen könnten und zusätzlich ohne Zeitverzug und ohne ein komplexes Abrechnungs- oder Gebührenmodell bezahlt werden würden.
- Structure-as-a-service: Sobald ein Unternehmen die Blockchain dazu nutzt, um verschiedene Dienstleistungen der Musikindustrie (wie Label-Service, Marketing, digitaler Vertrieb und die Verwaltung der Musikkataloge) an einem Ort zu bündeln, würden über kurz oder lang einige der etablierten Marktteilnehmer der Musikwirtschaft an Bedeutung verlieren. Solche Szenarien erklären den massiven Widerstand von Verwertungsgesellschaften gegen die Blockchain – obwohl auch diese mittelfristig von der neuen Technologie profitieren könnten. Denn einige Aufgaben von Verwertungsgesellschaften, wie beispielsweise die Registrierung der Abspielzahlen oder die anschließende Auszahlung der Tantiemen ließen sich zuverlässig über eine Blockchain realisieren. Hinzu kommt, dass Verwertungsgesellschaften weitere Zusatzleistungen, wie etwa die Herausgabe von Token anbieten könnten, mit denen man zum Beispiel einzelne Künstler oder Konzerte vorfinanziert. Zugleich könnten diese auch Bestandteil eines Treueprogramms für Fans sein, das aufschlussreiche Daten und Informationen über deren Nutzerverhalten liefert.
- Ausgewogener Zugang zum Markt für alle Künstler: In Zukunft wird durch die Blockchain eine wichtige Fragestellung in den Vordergrund treten: Wie können Independent-Künstler, also Musikerinnen und Musiker, die weder Mitglied einer Verwertungsgesellschaft sind noch bei einem Label oder Musikverlag unter Vertrag stehen, effektiv in den Musikmarkt integriert werden? Hier sollten innovative Blockchain-Konzepte ansetzen, um die Kluft zwischen Do-It-Yourself-Künstlern und den großen Major-Labels zu überbrücken. Das Ziel könnte dabei sein, ein Modell zu etablieren, das die kulturelle Vielfalt schützt und aufstrebenden Künstlern ebenso wie Major-Acts dabei hilft, neue Perspektiven in der Musikindustrie zu entdecken.
Die Zukunft hat begonnen
Fest steht, dass die Blockchain auf dem besten Weg ist, sich als Konzept für die Technologie von morgen zu etablieren. Im Moment scheint es aber noch eher so zu sein, dass diese wie ein Katalysator wirkt, der innerhalb der Musikindustrie einen Innovationsdruck hervorruft, der zukünftig nicht zu unterschätzen ist.
Wenn du erkunden willst, wie die Technologien zum Beispiel auch neue musikalische Kollaborationen ermöglichen, schaue dir mal das Projekt von Holly Herndon und ihrem digitalen Zwilling HOLLY+ an.
Jetzt möchte ich wissen: Welche Chancen siehst du in der Blockchain für die Musikindustrie? Hast du schon Erfahrung mit Dienstleistungen für Musiker gemacht, die die Blockchain verwenden? Was kannst du uns berichten? Lasse es mich in den Kommentaren wissen.