Das Jahr 2020 wird sicher als die bisher folgenschwerste Saison für die Live-Musikbranche in die Geschichte eingehen – mit gravierenden Folgen vor allem für Bands, Musiker, Booker, Veranstalter und die vielen Technikunternehmen, die Konzerte, Festivals und Tourneen vor Ort stemmen. Ticketanbieter waren zunächst weniger stark betroffen. Selbst bei stornierten Eintrittskarten blieb ihnen nicht nur die Vorverkaufsgebühr, zudem wurden den lokalen Veranstaltern die schon vorher üblichen Stornogebühren berechnet. So hatte der Chef von CTS Eventim, Klaus-Peter Schulenberg, noch Ende März erklärt, sein Unternehmen könne zwei Jahre Krise durchaus überleben.
Die Aufteilung des Marktes für Live-Entertainment
Der Umbruch im internationalen Konzertgeschäft fand tatsächlich schon viel früher statt – vor fast 25 Jahren. Denn wenn du mich fragst, war der Telecommunications Act, ein US-amerikanisches Bundesgesetz aus dem Jahr 1996, ein entscheidender Wendepunkt. Ursprünglich wollte das Gesetz bestehende Wettbewerbsbeschränkungen beenden, um mehr Wettbewerb im Markt zuzulassen. Letztlich wurde aber genau das Gegenteil erreicht. Denn die Zusammenschlüsse einzelner, bereits etablierter Anbieter stärkte nur deren Marktmacht.
Hier dazu ein Beispiel aus der Live-Musikbranche: 1998 schloss der US-amerikanische Konzertveranstalter Live Nation mit dem Ticketing-Unternehmen Ticketmaster einen Kooperationsvertrag über zehn Jahre, ehe Live Nation im Sommer 2007 ebenfalls in das Geschäft mit Konzerttickets einstieg. Eine weitreichende Zusammenarbeit mit dem deutschen Ticketingunternehmen CTS Eventim sicherte dem Konzern zudem eine Lizenz für die CTS Ticketsoftware in Nordamerika. Im Gegenzug übernahm CTS Eventim in Europa exklusiv das Ticketing für alle Konzerte von Live Nation.
Konzert-Business: Auf dem Weg zu Monopolen
Ticketmaster reagierte auf diese unerwünschte Kooperation prompt und kaufte die US-amerikanische Managementagentur Front Line. Doch trotz exklusiver Künstlerverträge mit Madonna, Nickelback, Shakira oder Jay-Z geriet Live Nation in den nächsten Jahren zunehmend unter Druck, weil das Unternehmen weit hinter seinen Gewinnerwartungen zurück blieb. Die Aktien verloren daraufhin dramatisch an Wert und Geschäftsführer Michael Cohl wurde aus dem Unternehmen gedrängt. Ein gravierender Systemabsturz bei CTS Eventim im Januar 2009 war vermutlich mit ein Grund dafür, dass Live Nation und Ticketmaster im Februar 2009 ihre Fusion bekannt gaben. Seitdem arbeiten beide Firmen unter dem neuen Namen Live Nation Entertainment zusammen und dominieren das weltweite Geschäft mit Konzerten und Tickets.
Live-Musik in Deutschland
In Deutschland bestimmt nach wie vor das börsennotierte Unternehmen CTS Eventim den Markt. Hauptaktionär ist bis heute Gründer Klaus-Peter Schulenberg. Schon von früh an interessierte er sich für Musik und spielte mit vierzehn Jahren in einer Schülerband. Später studierte er BWL und Jura. Noch während seiner Studienzeit in Bremen gründet er 1973 eine Künstlermanagement- und Konzertagentur. Im Jahr 1977 organisierte er zusammen mit dem legendären Fritz Rau seine erste Großveranstaltung: ein Konzert der Rolling Stones in Bremen. Während dieser Zeit gründete oder übernahm er auch Unternehmen aus anderen Branchen wie Radiostationen und regionale Anzeigenblätter.
1996 kaufte er von den Tour- und Konzertveranstaltern Marek Lieberberg, Matthias Hoffmann und Marcel Avram die Firma CTS GmbH. Das Unternehmen schrieb zu dieser Zeit rote Zahlen und wurde von Schulenberg wirtschaftlich neu ausgerichtet. Das führte unter anderem dazu, dass sich die Firma in den Folgejahren systematisch an verschiedenen Tour- und Konzertveranstaltern beteiligte, welche durch die Medusa Music Group GmbH unter ein Dach gebracht wurden. Zu den Beteiligungen der CTS Eventim AG, wie das Unternehmen mittlerweile heißt, gehören u.a. die Marek Lieberberg Konzertagentur, die Peter Rieger Konzertagentur, Semmel Concerts und FKP Scorpio. Damit wurde der größte Teil der hiesigen Festivallandschaft sowie des deutschen Konzertgeschäfts unter CTS Eventim vereint. In vielen Bereichen ist die strategische Ausrichtung von CTS Eventim und Live Nation Entertainment sehr ähnlich:
- Beide Konzerne halten Anteile an Ticketingunternehmen in mehreren europäischen Ländern.
- Beide Konzerne sind an international bedeutenden Veranstaltungsstätten beteiligt oder deren Eigentümer.
Ticketunternehmen werden Konzertveranstalter
So hat Eventim UK, die britische Niederlassung von CTS Eventim, beispielsweise im Jahr 2012 zusammen mit der Anschutz Entertainment Group (AEG) das legendäre Londoner Hammersmith Apollo Theatre erworben. Für CTS Eventim war dies ein wichtiger Schritt, um sich im englischsprachigen Markt weiter zu etablieren – insbesondere nach der Trennung von Live Nation. Noch im selben Jahr sicherte sich CTS Eventim die Lanxess Arena in Köln als exklusive Spielstätte. Dieses Vorgehen ist nicht nur äußerst lukrativ, sondern bietet auch einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsvorteil. Denn sobald ein Konzern über eigene Veranstaltungsstätten verfügt, können dort Konzerte mit wesentlich geringeren Fixkosten veranstaltet werden. Zusätzliche Einnahmen entstehen durch die Vermietung der Spielstätte an externe Konzertveranstalter, die als Sub-Unternehmer auftreten.
Vielleicht stellst du dir jetzt die Frage, wie es sein kann, dass ein Ticketingunternehmen wirtschaftlich erfolgreicher arbeitet als ein Konzertveranstalter. Die Antwort ist ganz einfach – die Ticketverkäufer kennen praktisch kein wirtschaftliches Risiko. Anders als Konzertveranstalter, die für sämtliche Kosten haften, befindet sich das Ticketingunternehmen in einer komfortablen Position: Auch wenn eine Veranstaltung weniger Eintrittskarten verkauft als erwartet, so schmälert das nur Umsatz und Rendite. Denn selbst wenn Konzerte große Verluste einfahren, können Ticketkonzerne noch immer Gewinn machen. Mittlerweile verkauft Eventim in Deutschland geschätzt etwa 90 Prozent aller Konzertkarten im Pop- und Rock-Bereich. Ein Großteil davon wird über das Internet vertrieben und via E-Mail-Marketing beworben.
Wer bekommt wieviel vom Ticketpreis?
Doch wieviel vom Ticketpreis erhalten die Konzert- und Tourveranstalter und wieviel die Künstler? Soweit ich weiß, gibt es darüber keine gesicherten Erkenntnisse. Warum? Weil kein Konzert wie das andere ist und die Antworten auf die folgenden Fragen immer sehr unterschiedlich ausfallen:
- Was kosten die Konzertsäle, Clubs und Hallen?
- Wie teuer ist eine Produktion?
- Wie viele Musiker stehen auf der Bühne?
- Gibt es eine aufwändige Licht- oder Videoshow?
- Wie viel Personal ist beteiligt?
- Wie viele Tickets werden zu welchem Preis für ein Konzert verkauft?
Schwierige Aufgabe: Live-Konzerte mit Gewinn veranstalten
Jetzt ist es Zeit für ein kleines Rechenbeispiel aus dem Alltag eines Konzertveranstalters oder Managers: Lass uns annehmen, eine Indie-Rock-Band tritt in einem ausverkauften Münchener Club vor 1.200 Leuten auf. Bei einem Verkaufspreis von 28,00 Euro pro Ticket verbleiben nach Abzug von GEMA-Gebühren und Mehrwertsteuer ca. 25 Euro netto. Meistens ist es so, dass sich die örtlichen und die Tourveranstalter die Einnahmen aus den Ticketverkäufen teilen und damit ihre Kosten decken. Wenn man davon ausgeht, dass die Produktionskosten vor Ort vielleicht 10 Euro pro Ticket betragen und die Kosten der Tour (Nightliner, Backline, Werbung, Roadies, Gage, etc.) mit z. B. 8,00 Euro zu Buche schlagen – dann wird schnell klar, dass an einem solchen Projekt nur wenig Geld zu verdienen ist. Die Bandmitglieder werden nach Abzug der Kosten und Steuern zwischen 3 und 5,50 Euro netto pro Ticket verdienen, Tour- und örtlicher Veranstalter vielleicht jeweils 1,50 bis 3,00 Euro (wovon wiederum Steuern abzuführen sind).
Jedes nicht verkaufte Ticket verschlechtert die Ertragslage der Tournee- und Konzertveranstalter dramatisch, da die Künstler meistens eine Festgage plus Gewinnbeteiligung erhalten. Deshalb werden viele Clubkonzerte mittlerweile so kalkuliert, dass Bands und Veranstalter froh sind, wenn das Ganze am Ende bei „Plus-minus-Null“ steht. Denn das große Geld ist hier nicht zu verdienen. Im Prinzip geht es um den Aufbau vielversprechender Künstler und damit um ein Investment (oder eine Wette) auf die Zukunft aller Beteiligter.
Corona und die Folgen für die Live-Branche
Übrigens: Ganz so optimistisch sieht CTS Eventim inzwischen nicht mehr in die Zukunft. Als im Mai die Zahlen für das erste Quartal 2020 präsentiert wurden, war klar, dass der weltweite Stopp des Live-Entertainment auch für dieses Unternehmen Folgen haben würde. Der Umsatz des Konzens sank um ein Drittel, der Gewinn brach stark ein. Offenbar hat das Unternehmen aber in den vergangenen Jahren hohe Rücklagen bilden können, die ihm jetzt durch die Krise helfen, so CEO Schulenberg. Davon können Musiker, Booker, Techniker und die vielen engagierten, kleineren Veranstalter vor Ort allerdings nur träumen.
Jetzt interessiert mich, welche Erfahrungen du mit Veranstaltern gemacht hast und wie du ohne Konzerte durch den Covid-19-Lockdown gekommen bist. Lass es mich in den Kommentaren wissen. Ich freue mich von dir zu hören!