Die Übernahme ganzer Musikkataloge durch extrem solvente Käufer liegt momentan im Trend. Finanzinvestoren bezahlen für die Urheberrechte bekannter Künstler oder einzelner Evergreens riesige Geldsummen. In diesem Artikel zeige ich dir die Ursachen und Hintergründe für diese neue Entwicklung im Musik-Business. Außerdem geht es um die faire Bezahlung von Musikerinnen und Musikern im Onlinemarkt.
Alte Songs sind populär
Von Bruce Springsteen, George Harrison und Pink Floyd bis zu Justin Timberlake und David Guetta: Für die Musikkataloge von Rock- und Popkünstlern bezahlen Investoren seit einiger Zeit 100 Millionen US-Dollar und mehr. Auch Bob Dylan, Neil Young und Linda Ronstadt haben die Rechte ihrer Songs bereits ganz oder zum Teil verkauft. Für die Künstlerinnen und Künstler bedeuten diese Deals eine hohe Einmalzahlung, dafür verzichten sie auf die jährlichen Tantiemen.
Die Investoren setzen dagegen auf die berechenbaren Umsätze – auch in Zukunft. Schließlich berichtet zum Beispiel Spotify, dass im Jahr 2022 ein Drittel aller Songs in den Charts des Streaming-Anbieters keine neuen Stücke waren, sondern Songs aus den Katalogen bereits etablierter Musikerinnen und Musiker. Erfahre im Folgenden weitere Gründe für den Run auf die Musikkataloge.
5 Gründe, warum Verlage in Musikkataloge investieren
- Streaming und die aus den Streams und Downloads generierten Daten haben es in den letzten Jahren wesentlich einfacher gemacht, den Wert eines Songs konkret zu bestimmen. So lassen sich zukünftige Einnahmen und Renditen relativ genau vorhersagen.
- Das Zinsniveau war in den letzten Jahren weltweit sehr niedrig. Das hat dazu geführt, dass Investoren verstärkt auf der Suche nach neuen Möglichkeiten waren, um Geld in Werte anzulegen, die weniger vom Aktienmarkt abhängen und zugleich höhere Renditen als Anleihen bieten.
- Die Markteintrittsbarrieren in das Verlagsgeschäft sind in den letzten Jahren massiv gesunken. Durch den technologischen Fortschritt ist es heutzutage einfacher als jemals zuvor (und auch kostengünstiger) Musikkataloge zu verwalten.
- Auch die Corona-Pandemie und die daraus resultierenden Kontaktbeschränkungen könnten ein Grund dafür gewesen sein, dass sich einige äußerst renommierte Künstler dazu entschieden haben, ihre Musikkataloge zu verkaufen. Denn keine Tourneen bedeuten auch keine Einnahmen – und selbst für so anerkannte Künstler wie David Crosby hat das zur Folge, dass er sich um alternative Einnahmequellen kümmern muss, um laufende Kosten zu decken und Verbindlichkeiten zu bezahlen.
- Außerdem lässt der Investorenbericht des Hipgnosis Songs Funds darauf schließen, dass das Unternehmen Künstlerinnen und Songschreibern für ihre Kataloge ein Vielfaches von den ansonsten jährlich ausgeschütteten Tantiemen bezahlt. Das bedeutet: Je bekannter und erfolgreicher der Künstler ist, desto wertvoller ist sein Musikkatalog. Da kann es sich, nicht nur aus steuerlichen Gründen, lohnen das Geld bereits im Voraus auf das Konto überwiesen zu bekommen.
Unsichere Zukunft des Musikmarkts
Schließlich ist es im Moment nicht absehbar, in welche Richtung sich die Musikindustrie in den nächsten zwei oder drei Jahrzehnten entwickeln wird. Vielleicht gibt es in Zukunft technologische Fortschritte, beispielsweise im Bereich der KI, die den gegenwärtigen Wert von Musik dramatisch sinken lassen. Im Angesicht solcher Szenarien wundert sich niemand mehr darüber, dass Künstler ihre Musikkataloge in bares Geld verwandeln, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen.
Selbst Neil Young, der 1988 noch sang „Ain’t singin‘ for Pepsi, ain’t singin‘ for Coke. I don’t sing for nobody. Makes me look like a joke“ hat Anfang 2021 die Hälfte seines Musikkatalogs an den Hipgnosis Songs Fund verkauft.
Die Geschichte von Hipgnosis
Im Jahr 2018 wurde die Investmentfirma von dem britischen Musikmanager Merck Mercuriadis und dem Musikproduzenten Nile Rodgers gegründet. Mercuriadis managte neben Elton John, Iron Maiden und Guns ’n‘ Roses auch seinen Kollegen Rodgers. Dieser ist legendäres Mitglied der Band Chic und war als Produzent unter anderem für David Bowie und Madonna tätig.
Das Unternehmen macht inzwischen den drei Branchenriesen Sony Music, Universal Music und Warner mächtig Konkurrenz und schickt sich an, die ungeschriebenen Gesetze der Musikbranche zu verändern. Denn bis jetzt sind die Verlagsrechte bei den Songschreibern und Verlegern geblieben, während die Aufnahmerechte den Labels und Interpreten gehörten. Mit dem Erwerb ganzer Musikkataloge durch externe Investoren verändert sich diese Situation von Grund auf. Dadurch wird es plötzlich möglich, dass Firmen wie der Hipgnosis Songs Fund, Shamrock Capital oder KKR Geld mit Tantiemen, Lizenzen, Markenverträgen und anderen Einnahmequellen verdienen, das ansonsten den Künstlern bezahlt worden wäre.
Lukrativer Verkauf statt geringer Streaming-Tantiemen
Bis jetzt haben sich unter anderem Bob Dylan, Bruce Springsteen, David Crosby, Justin Timberlake, Ryan Tedder, Shakira oder Stevie Nicks dazu entschieden, ihre Musikkataloge zu verkaufen. Zudem haben sich völlig unabhängig davon Live-Konzerte und Tourneen für Künstler zu einer sehr lukrativen Verdienstmöglichkeit entwickelt – und nicht die Erlöse von den unterschiedlichen Musik-Streaming-Plattformen. Möglicherweise hat diese Situation dazu geführt, dass Künstlerinnen und Künstler in der Zwischenzeit lieber eine große Abschlagszahlung eines Investmentfonds akzeptieren, als jeden Monat verhältnismäßig kleine Guthabenauszahlungen von den Streaming-Diensten überwiesen zu bekommen.
Exkurs: Der Blick auf Independent-Künstler und Newcomer
Newcomer haben es schwer im neuen Musikmarkt
Besonders schwierig gestaltet sich die Situation seit mehreren Jahren für Independent-Künstler und Newcomer: Da das Musikstreaming vielfach nur noch zu sehr geringen Einnahmen führt, können die meisten Künstler davon allein nicht mehr leben. Deshalb steht ein Großteil der jüngeren Generation von Musikern vor dem Problem, dass eine tragfähige Einkommensquelle fehlt, um den persönlichen Lebensunterhalt auch nur einigermaßen sicher bestreiten zu können.
Hinzu kommt die äußerst fragwürdige Umsetzung des Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie durch das Bundesjustizministerium. Diese besagt, dass 15 Sekunden eines jeden Musikstücks Nutzern haftungsfrei zur Verfügung stehen soll. Diese Viertelminute könnte dann auf verschiedene Internet-Plattformen wie z.B. Facebook, Instagram oder YouTube hochgeladen werden, ohne dass die Nutzer dafür Lizenzgebühren abführen müssen.
Musik muss fair vergütet werden
Dass mit dieser sogenannte „Bagatellgrenze“ Musikern faktisch die Kontrolle über ihr Werk entzogen wird, das wird viel zu selten diskutiert. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle nochmal klarstellen: Es geht nicht darum, die Nutzung von Musik im Internet prinzipiell zu verbieten. Musiker wollen gehört werden. Und sie wollen auch, dass Ihre Musik in neue, kreative (Video-)Kontexte gesetzt wird.
In der Debatte um die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie geht es vor allen Dingen um das berechtigte Interesse von Künstlern und den Verwertungsgesellschaften, die nicht wollen, dass geschützte Werke ohne Genehmigung verwendet werden. Gerade in jüngster Vergangenheit gab es deswegen massive Proteste und Kritik aus nahezu allen Bereichen der Musikindustrie. So weigert sich etwa Thom Yorke von Radiohead bis heute, seine Musik auf Spotify online zu stellen.
Uploadfilter vs. Urheberrechte
In Hinblick auf die Umsetzung der Reform im Rahmen von Expertenanhörungen hat die Bundesregierung vor allem mit Netzexperten und Internetaktivisten gesprochen, die Uploadfilter zum größten, vorstellbaren Unglück (v)erklären. So ist bei den Entscheidungsträgern vielleicht der Eindruck entstanden, dass Uploadfilter um jeden Preis verhindert werden müssen, wenn es darum geht, die Zukunft eines freien World Wide Web zu garantieren.
Die Wahrheit ist jedoch: Das automatische Blockieren von Inhalten im Internet gehört auch heute schon zu unserer Realität und wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, Urheberrechte nachhaltig zu schützen. Leider fehlt es bislang an konkreten Daten der Plattformbetreiber, um die Wirksamkeit der Uploadfilter in irgendeiner Weise qualifiziert beurteilen zu können.
Neue Regeln für den digitalen Musikmarkt
Nach der Jahrtausendwende sah sich die Musikindustrie massiven Herausforderungen gegenübergestellt – unter anderem weil Musiktauschbörsen wie Napster riesige Erfolge feierten. Damals wurde der Ruf nach Regularien für den digitalen (Musik-)Markt immer lauter. Dass diese Forderungen bei einer libertären Internet-Community auf Ablehnung stoßen würden, ist keine Überraschung gewesen. Und so dauerte es fast zwanzig Jahre, bis die Bundesregierung damit begann, multinationale Internet-Konzerne wie zum Beispiel Google in die Verantwortung zu nehmen.
Denn anders als zum Beispiel Amazon Music, Apple Music oder Spotify musste Google viele Jahre lang keine Lizenzen für die Online-Nutzung von Musik erwerben. Trotzdem hatte der Konzern die Möglichkeit, viele Milliarden US-Dollar damit zu verdienen, indem Werbung vor die Youtube-Videos der Content-Kreatoren platziert wurde. Es sind also erst die nutzergenerierten Inhalte, die es YouTube ermöglichen, über Werbeanzeigen Geld zu verdienen.
Dass Künstler und Musikschaffende an diesen Einnahmen in irgendeiner Form beteiligten werden wollen, sollte nicht nur nachvollziehbar, sondern selbstverständlich sein. Denn die großen Stars haben die Möglichkeit, mit dem Verkauf ihrer Musikkataloge auch weiterhin ein sehr gutes Einkommen zu erzielen. Der allergrößte Teil der Musikerinnen und Musiker jedoch muss sich täglich den Herausforderungen des digitalen Musikmarkts stellen und neue Wege finden, um mit ihrer Musik und Kreativität Geld zu verdienen.